Mitbestimmung des Betriebsrats betreffend die vom Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit (Zeiterfassung)

Beschluss des LAG München 3 TaBV 31/21 vom 10.08.2021

 

Mit Beschluss vom 10.08.2021 hat das LAG München festgestellt, dass eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Einführung einer Arbeitszeiterfassung" nicht offensichtlich unzuständig i. S. d. § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG ist.

Die Parteien hatten über die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand, „Einführung einer Arbeitszeiterfassung für alle Beschäftigten des Vertretungsbereichs des Beteiligten zu 1) (der antragstellende Betriebsrat, Anmerkung des Verfassers), die nicht unter den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit mit elektronischer Zeiterfassung vom 18.07.1997 fallen“ gestritten.

Das Landesarbeitsgericht vertritt insoweit die Ansicht, dass von einer offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle zu dem beantragten Regelungsgegenstand nicht auszugehen ist. Es sei nicht offensichtlich, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Ziff. 6 und 7 BetrVG nicht besteht. Das Arbeitsgericht hatte die Einigungsstelle eingesetzt. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. 

Das LAG München hat insoweit u.a. ausgeführt:

„Soweit das Bundesarbeitsgericht entschieden hat, dass ein Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung einer elektronischen Zeiterfassung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht bestehe, weil es sich bei diesem Mitbestimmungsrecht um ein Abwehrrecht handele, liegt schon wegen der inzwischen eingetretenen anderen Besetzung des Senats keine gefestigte Rechtsprechung im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG vor (vgl. insoweit Helml in Helml/Pessinger, ArbGG, a.a.O., § 100 Rn. 6). Im Übrigen besteht eine beachtliche Kritik an dieser Rechtsprechung (vgl. Kohte in Düwell, BetrVG, 5. Aufl. 2018, § 87 Rn. 20 und 72; DKKW-Klebe, BetrVG, 17. Aufl. 2020, § 87 Rn. 166; Byers, RdA 2014, 37) und durch den Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg vom 22.01.2015 - 10 TaBV 1812/14 - Rn. 20 ff. eine abweichende Entscheidung, sodass ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht mehr „sofort“ aus offensichtlichen Gründen verneint werden kann (in diesem Sinne bereits ArbG Offenbach, Beschluss vom 14.09.2015 - 2 BV 13/15). Auch vor dem Hintergrund der insoweit unterschiedlichen Beurteilung in dieser Frage durch die verschiedenen Landesarbeitsgerichte (vgl. a. A. etwa LAG Hessen, Beschluss vom 17.11.2015 - 4 TaBV 185/15 - Rn. 11 und LAG Niedersachsen, Beschluss vom 22.10.2013 - 1 TaBV 53/13- unter II 2) a) der Gründe) kann - von krassen Fehlentscheidungen abgesehen - keine Rede davon sein, bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sei sofort erkennbar, dass kein mitbestimmungspflichtiger Tatbestand gegeben sei (vgl. LAG Nürnberg, Beschluss vom 21.09.1992 - 7 TaBV 29/92 -).

Darüber hinaus ist eine offensichtliche Unzuständigkeit im Hinblick auf das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht anzunehmen. In der Literatur wird von prominenter Seite die Auffassung vertreten, dass die Einführung (technischer) Kontrolleinrichtungen zur Vermeidung von Gesundheitsschäden der Arbeitnehmer oder zur Vermeidung einer „Selbstausbeutung“ im Rahmen sog. Vertrauensarbeitszeit dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG unterliegen könnte (vgl. Fitting, 30. Aufl. 2020, § 87 Rn. 251; Brors, NZA 2019, 1176, 1179).“

Berücksichtigt man insoweit zudem das Urteil des EuGH C-55/18 vom 14.05.2019 (ich verweise insoweit auf meinen entsprechenden Artikel vom 27.05.2019) liegen mit dieser Entscheidung des LAG München nunmehr gute Argumente für ein Initiativrecht des Betriebsrats betreffend die Einführung eines Systems zur Erfassung der Arbeitszeit der Arbeitnehmer (Zeiterfassung) vor. Ob insoweit auch die Einführung einer technischen (elektronischen) Zeiterfassung oder lediglich die Einführung einer nichttechnischen (manuellen) Zeiterfassung seitens des Betriebsrats durchgesetzt werden kann, muss abgewartet werden.

Sten Rieper

Fachanwalt für Arbeitsrecht