23/07/2020 von Sten Rieper
Das Stimmengewicht bei der Wahl des Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats (GBR) und seines Stellvertreters
Das Stimmengewicht bzw. Stimmenverhältnis bei der Wahl des Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats (GBR) und seines Stellvertreters
Im Betriebsverfassungsrecht kommt gelegentlich die Frage auf, welches Stimmengewicht bei der Wahl des Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates und seines Stellvertreters gilt.
Nach einer Meinung soll jedes Mitglied des Gesamtbetriebsrates eine Stimme haben. Als Argument wird u.a. angeführt, dass es sich um eine „organisatorische Wahl“ handeln würde und das zwischen einer „Wahl“ und einem „Beschluss“ zu unterscheiden sei. Auch wird argumentiert, dass § 51 BetrVG auf § 26 BetrVG verweisen würde und dort geregelt sei, dass der Betriebsrat den Vorsitzenden und Stellvertreter aus seiner Mitte wähle, was bedeute, dass jedes Mitglied eine Stimme habe. Des Weiteren wird vorgebracht, dass nur so sichergestellt sei, dass die Wahl geheim ist.
Richtig ist folgendes:
Gemäß § 26 BetrVG wählt der Betriebsrat aus seiner Mitte den Vorsitzenden und dessen Stellvertreter. Da das Betriebsratsgremium ein gewähltes Gremium ist, in dem jedes Mitglied eines Stimme hat, ist es nur logisch, dass für die Wahl des Betriebsratsvorsitzenden und dessen Stellvertreter nichts anderes gilt.
Diese Regelung gilt jedoch zunächst einmal nur für den Betriebsrat. Vom Gesamtbetriebsrat ist hier mit keinem Wort die Rede. Die Regelung befindet sich im Betriebsverfassungsgesetz auch am Anfang des Dritten Abschnitts, der die Geschäftsführung des Betriebsrats (und nicht des Gesamtbetriebsrats) regelt.
Die Regelungen zum Gesamtbetriebsrat befinden sich im Fünften Abschnitt des Betriebsverfassungsgesetzes und beginnen mit § 47. In § 47 ist zunächst geregelt, dass ein Gesamtbetriebsrat zu errichten ist, wenn in einem Unternehmen mehrere Betriebsräte bestehen (Abs. 1). Es ist dort weiter geregelt, dass jeder Betriebsrat eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern in den Gesamtbetriebsrat entsendet (Abs. 2). Der Gesamtbetriebsrat bzw. dessen Mitglieder werden also nicht in das Gremium gewählt, sondern das Gremium wird errichtet und die Mitglieder werden in das Gremium entsandt. In Abs. 7 ist dann geregelt, dass jedes Mitglied des Gesamtbetriebsrats so viele Stimmen hat, wie in dem Betrieb, in dem es gewählt wurde, wahlberechtigte Arbeitnehmer in der Wählerliste eingetragen sind. Entsendet ein Betriebsrat mehrere Mitglieder, so stehen diesen Mitgliedern nach Abs. 7 diese Stimmen anteilig zu.
Hier ist also ausdrücklich und abweichend von den Regelungen für den Betriebsrat geregelt, dass die Mitglieder des Gesamtbetriebsrats nicht eine Stimme je Mitglied haben, sondern dass sich die Anzahl ihrer Stimmen nach der Größe des Betriebs in welchem sie arbeiten richtet. Hier wird auch nicht zwischen organisatorischen und nicht-organisatorischen Wahlen bzw. Abstimmungen unterschieden.
In § 51 Abs. 1 BetrVG ist dann u.a. festgehalten, dass § 26 für den Gesamtbetriebsrat entsprechend gilt. Dies besagt, dass auch beim Gesamtbetriebsrat der Vorsitzende und sein Stellvertreter aus der Mitte des Gremiums zu wählen sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die speziell für den Gesamtbetriebsrat geltende Stimmengewichtung aus § 47 Abs. 7 BetrVG plötzlich nicht mehr gilt. Die Verweisung auf § 26 BetrVG führt nicht zu einer Änderung der speziell für den Gesamtbetriebsrat geltenden Regeln der Stimmengewichtung. In § 26 BetrVG ist ohnehin selbst für den Betriebsrat die Stimmengewicht nicht geregelt. Wenn dort aber selbst für den Betriebsrat die Stimmengewichtung nicht geregelt ist, sind aus § 26 BetrVG schon gar keine Rückschlüsse auf die Stimmengewichtung bei Abstimmungen des Gesamtbetriebsrats möglich. Nichts anderes gilt im Übrigen auch für § 33 BetrVG. Die Stimmengewichtung im Betriebsrat ist letztlich im BetrVG auch nicht ausdrücklich geregelt, da es in der Natur der Sache liegt, dass in einem Gremium – wenn keine besonderen Regelungen bestehen (also im Normalfall) – jedes Mitglied eine Stimme hat. Lediglich wenn etwas anderes gelten soll (wie für den Gesamtbetriebsrat) besteht die Notwendigkeit derartiges auch zu regeln.
In § 51 Abs. 3 BetrVG heißt es weiter, dass die Beschlüsse des Gesamtbetriebsrats, soweit nicht anderes bestimmt ist, mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder gefasst werden. Auch dies stellt keine Regelung der Stimmengewicht bzw. keine Änderung der in § 47 Abs. 7 BetrVG festgesetzten Stimmengewicht dar. Denn wie viele Stimmen ein anwesendes Mitglied hat, ist hier gerade nicht festgelegt und somit auch nicht geändert worden.
Das dann nicht alle Einzelheiten der Wahl geheim sind und letztlich Rückschlüsse auf das Wahlverhalten der einzelnen Mitglieder möglich sein können, führt zu keinem anderen Ergebnis.
Fazit:
Bei Abstimmungen, egal ob über organisatorische Fragen oder über fachliche Fragen abgestimmt wird und egal ob die Abstimmung bzw. die Entscheidung des Gesamtbetriebsrats als eine „Wahl“ oder als ein „Beschluss“ bezeichnet wird, gilt die Stimmengewichtung gemäß § 47 Abs. 7 BetrVG.
Mitglieder des Gesamtbetriebsrats haben bei allen Abstimmungen bzw. Entscheidungen also nicht jeweils eine Stimme, sondern immer so viele Stimmen, wie in dem Betrieb, in dem sie in den Betriebsrat gewählt wurden, wahlberechtigte Arbeitnehmer in der Wählerliste eingetragen sind.
Sten Rieper
Fachanwalt für Arbeitsrecht